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„Was bleibt?“ Ein Beitrag von Lutz Dittmar, Pfarrer a.D. im Revier

Lutz Dittmar ist Pfarrer a.D. in Erkelenz-Lövenich. Er hielt die Andacht an der Ruine des Immerather Doms während des Klimacamps. Drei Tage später brachte er uns diesen Text. Das Foto von der Andacht machte Elmar Aretz.

 

Am Samstag, 18. August, fuhren meine Frau und ich nach Immerath zur Andacht an der Stelle, wo der „Dom“ einmal stand. Wir wussten uns bisher in Immerath zu orientieren – und fuhren doch am Kirchplatz vorbei, ohne ihn wiederzuerkennen. Wir suchten im Ort und mussten uns am Ende von den Sicherheitsleuten zeigen lassen, wo die Kirche stand: ein halbhoher Bretterzaun, der das Stück Land für die Archäologen markiert, ringsum zugewachsen mit Disteln, Gras und Kraut, von der Sonne verbrannt. Das Umfeld ver-wüstet. Eine Herde Schafe und Ziegen wurde gerade darüber getrieben. So sieht der Ort aus – vorübergehend – wo seit 1000 Jahren eine Kirche stand! Der Eindruck hat für mich auf einen Schlag die ganze bitter-böse Situation im Gefolge der Braunkohle-Verstromung zusammengedrängt.

Ein paar Schritte weiter in Richtung Dorfausgang stand hinter einem Absperrgitter das schwere Gerät, eigentlich zum Bauen bestimmt, jetzt zum Abbruch eingesetzt. Die Häuser, die über Jahrhunderte Stein für Stein aufgebaut wurden, sind in Minutenschnelle zertrümmert. Beim Dom hat es auch nur zwei Tage gedauert. Seine Trümmer wurden umgehend weit weg in die Tiefe eines Tagebaulochs gekippt und mit Erde zugeschüttet, unseren Blicken entzogen. Der andere Bauschutt folgt. Zum Teil wird er zu Wällen aufgeschüttet am Rand neu entstandener Umsiedlungsdörfer. Die „schützen“ dann vor Staub und Lärm des großen Baggers, der bis auf 100m an die Häuser heranarbeiten darf.

Überreste des Immerather Doms, die zusammen mit dem übrigen Schutt der Dörfer in der RWE-eigenen Deponie landeten. Foto: Elmar Aretz

Als Kind habe ich nach dem Krieg in München zugesehen, wie auf unserer Straße die Schienen für eine Trümmer-Kleinbahn verlegt wurden. Aus der Abfuhr der Ruinen ringsum wuchs der Trümmerberg, auf dem wir später mit unseren Eltern spazieren gingen. In Mönchengladbach bin ich auf einen weiteren der vielen Trümmerberge gestoßen. Die Trümmer der Orte, die dem Tagebau weichen mussten und weiter weichen sollen, werden tief in der Erde versteckt. Der Skandal wäre sonst nicht zu übersehen. So entsteht zugleich in den ausgekohlten Tagebauen eine neue geologische Schicht, unerreichbar für spätere Suche: verheizte Heimat!

Ich habe mehrmals an Demonstrationen teilgenommen. Ich habe Polizeiaufgebote erlebt, die für die TV-Öffentlichkeit offensichtlich den Eindruck erwecken sollten, dass wir einen Staatsstreich beabsichtigen, bzw. den Zusammenbruch der Energieversorgung landesweit in Angriff nehmen. Uns soll solches Aufgebot einschüchtern: schwarz Uniformierte, Helm und Visier, Kabelbinder, Pistole. Die Braunkohle-Kraftwerke sind so etwas wie der „Augapfel“ von RWE, den es mit allen staatlichen Mitteln zu schützen gilt.

Betroffene berichten mir vom menschenverachtenden Umgang mit denen, die ein Entschädigungsangebot von RWE nicht akzeptieren. Wenn sie am Ende entnervt unterschreiben, verpflichten sie sich zugleich zu späterem Wohlverhalten gegenüber dem Konzern. In anderen Zusammenhängen würde man das einen Maulkorberlass nennen!

RWE hat in seinem Magazin „hier“ bisher den Umgesiedelten dafür gedankt, dass sie der Allgemeinheit ein „Opfer“ bringen. Diesen Begriff dreht man inzwischen um: Die Braunkohle-Beschäftigten dürften nicht zum „Opfer“ einer überstürzten Energiewende mit Kohleausstieg gemacht werden!

Ich habe zahlreiche Briefe an Politiker geschrieben. Meine Fragen nach tatsächlichen Mengen an Schadstoff-Ausstoß, meine Frage nach der Rechtsgrundlage für den Export von Braunkohlestrom, sie blieben unbeantwortet. Energieminister Pinkwart ließ mich am Ende wissen, dass die Landesregierung auch künftig eine „Energie- und Klimapolitik mit Maß und Mitte“ betreiben werde.

Ich war so naiv zu glauben, wir könnten uns auf beiden Seiten über die Fakten und Folgen der Braunkohleverstromung austauschen. Fehlanzeige! Es ist keine Frage nach den besseren Argumenten und den Warnungen der Klima-Folgen-Forschung. Es ist eine Machtfrage, und die Macht über Tagebau und Energiegewinnung hat die Politik an RWE abgetreten. Die Politik hätte die Bagger längst bremsen und auch stoppen müssen. Tatsächlich treiben die Bagger die Politik vor sich her.

Was bleibt? Uns fällt die Aufgabe zu, diejenigen zu sein, die solche Macht begrenzen.

Lutz Dittmar
Erkelenz-Lövenich
21. August 2018

Ein Gedanke zu „„Was bleibt?“ Ein Beitrag von Lutz Dittmar, Pfarrer a.D. im Revier

  1. Ich bin die Mutter einer Baumbesetzerin und momentan ziemlich häufig im Hambacher Forst. Ihr Brief ermutigt mich weiter zu machen, er zeigt nochmal deutlich auf, wofür wir kämpfen: eine Welt in der Wälder, Dörfer und Kirchen nicht für einen Klimavernichtenden und Heimaterzerstörenden Energie-Konzern weichen müssen.
    Vielen Dank!

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